Die Eckpunkte der Carbon-Management-Strategie der Bundesregierung zeigen ein Umdenken bezüglich des Carbon Capture and Storage (CCS) und Carbon Capture and Utilization (CCU). Deutschland soll bis 2045 eines der ersten großen klimaneutralen Industrieländer sein. Im Moment gibt es jedoch beispielsweise noch keine Lösung für die CO2-intensive Industrie. Daher ist eine wichtige Frage, der sich die Strategie der Bunderegierung annimmt, wie für die CO2-intensive Industrie ein Transformationspfad angeboten werden kann, ohne diese komplett in Deutschland zu verlieren.
Auf der Suche nach Lösungen schlägt der Bund jetzt eine Carbon-Management-Strategie vor, bei der die Zwischenspeicherung von CO2 in Kavernen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland anvisiert wird. Darüber sprachen Fachexpert:innen beim CarbonCycleCultureClub (C4) zum Thema „Ist CO2 der Rohstoff der Zukunft?“ am Donnerstag, 30. Mai 2024, im Industrie- und Filmmuseum in Wolfen. Fragen wie: Was bedeutet das konkret für die Unternehmen, wenn sie CO2 über eine Pipeline abgeben können? Welche Folgen hat das für die Gasnetzbetreiber, die ein CO2-Netz betreiben? Welche Änderungen sind durch die Carbon-Management-Strategie für die Industrie, die auch künftig CO2 nutzen möchte, zu erwarten? wurden im C4-Club diskutiert. Dabei galt es auch zu erörtern, ob die Carbon-Management-Strategie der Bundesregierung ausreicht, um eine postfossile Kohlenstoffkreislaufwirtschaft zu ermöglichen. Damit stellt sich für das Bundesland Sachsen-Anhalt die Frage, was bei der Entwicklung einer eigenen Carbon-Management-Strategie zu berücksichtigen ist. Auch die Auswirkungen auf Mensch und Natur sind zu analysieren. Wie kann mit möglichen Risiken für die Umwelt umgegangen werden? Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) beispielsweise warnt vor Techniken zur Abscheidung und Deponierung von CO2(Carbon Capture and Storage – CCS).
Die Carbon-Management-Strategie des Bundes hat aktuell zwei Ansätze. Eine direkte Nutzung von CO2 wird favorisiert. Eine Anwendung ist zum Beispiel Flugbenzin. Das war im C4 am 22. Februar 2024 „Grünbunter Wasserstoffkreislauf“ unter dem Stichwort „Sustainable Aviation Fuel (SAF)“ Thema. Dafür ist Kohlenstoff erforderlich. Wenn nicht Erdöl der Grundstoff ist, kann auch CO2 als Quelle dienen. Denn auch hier ist Kohlenstoff enthalten.
Einerseits wird eine Chemie, die CO2 vermehrt nutzt, beispielsweise für Treibstoff in der Schifffahrt, für Treibstoffe der Flugzeuge, für neue Kunststoffe, für Düngemittel – wie das bereits in vergangenen C4-Clubs diskutiert wurde – entstehen. Das heißt, die CO2-Chemie wird wachsen, die CO2-Emission geht zurück, und irgendwann ist dann sogar ein Break Even Point möglich, bei dem sich Bedarf und Ausstoß ungefähr ausgleichen.
Andererseits kann CO2, das aus einer Punktquelle, wie einem Auspuff oder Schornstein kommt, herausgefiltert werden, damit es nicht in die Luft geht. So wie heute Schwefel beim Ausstoß der Braunkohlekraftwerke herausgefiltert wird, um das Waldsterben zu unterbinden. Technisch ist das Herausfiltern von CO2 bereits möglich. Da gibt es unterschiedliche technologische Ansätze, über die beim C4-Club gesprochen wurde. Die Frage dazu ist allerdings: Wie kann CO2 dann auch werthaltig genutzt werden? Hier ist noch Forschungsbedarf. Das Forum Rathenau möchte dazu Diskussionsbeiträge anbieten.
Im Bereich der Technologien für Carbon Capture and Utilization (CCU) besteht noch ein Innovationsdefizit. Die CO2-Chemie stand global nicht im Fokus. Die vergangenen 170 Jahre stand Erdölchemie im Vordergrund. Erst in den letzten zehn Jahren wurde angefangen, die CO2-Chemie anzukurbeln und so fehlen noch gute technologische Lösungen. Hier besteht nun Bedarf, denn es gibt noch nicht so viele Abnehmer, die solche Technologien haben, wie Kohlenstoffdioxid derzeit gespeichert werden müsste.
Deshalb ist die zweite Stufe der Strategie der Bundesregierung die Zwischenlagerung – CCS Carbon Capture Storage – in alten Erdgaskavernen zu ermöglichen. Das CO2 soll über das Pipeline-System angeschlossen bleiben, um es perspektivisch, vielleicht in zehn, 20 oder 30 Jahren, wenn das CO2 das neue Erdöl ist, zu verwenden. Dann kann die CO2-Chemie das CO2 voraussichtlich nutzen, um Grundstoffe herzustellen oder Produkte, die im täglichen Leben gebraucht werden, aber die kohlenstoffbasiert sind.x
Zu Gast auf dem Podium waren:
- Dr. Berit Erlach, Wissenschaftliche Referentin Energiesysteme der Zukunft, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften
- Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Hüttl, Geschäftsführender Gesellschafter, Geschäftsführer und Wissenschaftlicher Direktor der EEI Eco-Environment Innovation GmbH
- Christoph Zeiss, Senior Researcher, Zukünftige Energie- und Industriesysteme, Wuppertal Institut
- Dr. Christoph Mühlhaus, Sprecher des Cluster Chemie/Kunststoffe Mitteldeutschland
- Dr. Kai Schulze, Technical Manager, Grüne Gase, VNG AG
- Patrice Heine, Vorstand im Forum Rathenau e.V., Geschäftsführer der Chemiepark Bitterfeld-Wolfen GmbH, Patrice Heine im Gespräch
Das hybride Event wurde live gestreamt. Zu den Videoaufzeichnungen:
- Dr. Berit Erlach, Wissenschaftliche Referentin Energiesysteme der Zukunft, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften
- Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Hüttl, Geschäftsführender Gesellschafter, Geschäftsführer und Wissenschaftlicher Direktor der EEI Eco-Environment Innovation GmbH
- Christoph Zeiss, Senior Researcher, Zukünftige Energie- und Industriesysteme, Wuppertal Institut
- Dr. Christoph Mühlhaus, Sprecher des Cluster Chemie/Kunststoffe Mitteldeutschland
- Dr. Kai Schulze, Technical Manager, Grüne Gase, VNG AG
- Patrice Heine, Vorstand im Forum Rathenau e.V., Geschäftsführer der Chemiepark Bitterfeld-Wolfen GmbH
Inhaltlicher Rückblick
- Nutzung von CO₂ eine Möglichkeit, aber kein Ersatz für CCS, um Klimaneutralität zu erreichen
- Systemische Betrachtung der Energie
- Lokale Wertschöpfung spielt eine große Rolle
- Kohlenstoff und Wasserstoff werden benötigt
- Aufbau einer vernetzten CO2-Transportinfrastruktur für CCU/CCS möglich?
- Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen Ziel klären
CO2-Speicherung und Nutzung als Chance für das Mitteldeutsche Chemiedreieck?
Eine spannende und sehr aktuelle Diskussion zur Carbon-Management-Strategie der Bundesregierung fand beim CarbonCycleCultureClub (C4) des Forum Rathenau e.V. statt, denn das Bundeskabinett hatte am Vortag, Mittwoch, 29. Mai 2024, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes beschlossen.
Mit dieser geplanten Novelle des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes (KSpG) will die Bundesregierung vor allem einen klaren Rechtsrahmen für den Aufbau einer CO₂-Pipelineinfrastruktur schaffen und die Offshore-Speicherung von CO₂ ermöglichen, heißt es dazu in der Pressemitteilung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz.
Nutzung von CO₂ eine Möglichkeit, aber kein Ersatz für CCS, um Klimaneutralität zu erreichen
Zu Gast beim Moderator der Veranstaltung und Vorstandsvorsitzenden des Forum Rathenau e.V. Prof. Dr. Ralf B. Wehrspohn war unter anderem Frau Dr. Berit Erlach, Wissenschaftliche Referentin Energiesysteme der Zukunft an der acatec – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften. Sie hat federführend am Positionspapier mitgearbeitet, das die acatec gemeinsam mit der Leopoldina, nationale Akademie der Wissenschaften, herausgegeben hat, das vor allem die Chancen des Carbon-Managements beleuchtet. „Wenn wir klimaneutral werden wollen, müssen wir umsteigen auf nachhaltige Kohlenstoffquellen“, so Erlach. Da sei die Nutzung von CO₂ eine Möglichkeit. Das sei aber kein Ersatz für CCS, da sämtlicher Kohlenstoff, der neu ins System gebracht werde, beispielsweise von einem Zementwerk, auch wieder in gleicher Menge aus der Atmosphäre entfernt werden müsse, um Klimaneutralität zu erreichen.
Systemische Betrachtung der Energie
Mit Professor Dr. Dr. h.c. Reinhard Hüttl, Geschäftsführender Gesellschafter, Geschäftsführer und Wissenschaftlicher Direktor der EEI Eco-Environment Innovation GmbH, war als ehemaliger Direktor des Geoforschungszentrums in Potsdam ein sehr bekannter Pionier im Bereich der Kohlenstoff-Speicherung und renommierter Wissenschaftlicher in Deutschland in der Runde vertreten.
Nachhaltigkeit ist das Paradigma unserer Zeit, so Professor Hüttl. Trotzdem sehe man manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht. Es gehe um die Reduktion von Treibhausgasen wegen des Klimawandels hin zu Klimaneutralität. Es gehe aber auch um eine systemische Betrachtung der Energie. Dafür sei es wichtig, das gesamte Spektrum der Energieträger zu sehen. Nicht nur die Elektrizität, sondern auch die Moleküle. Die aus seiner Sicht zwar etwas verspätete Gesetzesnovelle der Bundesregierung zur Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes beurteilte er als wunderbar, da nun das Thema CCS nicht nur wissenschaftlich gut belegt sei, sondern jetzt auch gesellschaftspolitisch zur Umsetzung komme. Die Forschung am Geoforschungszentrum, die in dem Bereich federführend war – auch international, habe gezeigt, dass das CO2 sicher verwahrt werden kann, wenn geologische Strukturen gewählt werden, die nicht nur ein Deckgebirge, sondern auch Dichtschichten haben, wie zum Beispiel aus Ton, also Barrieregestein. Bei dieser Speicherung sei auch eine (Teil-)Rückholung des CO2vorgesehen und möglich. Mit diesem CO₂ können dann, beispielsweise synthetische Kraftstoffe produziert werden.
Lokale Wertschöpfung spielt eine große Rolle
Christoph Zeiss, Senior Researcher im Bereich zukünftige Energie- und Industriesysteme am Wuppertal Institut, ging darauf ein, wie im Rheinischen Revier im Rahmen der Kohlenstoff-Strategie von fossilen auf biogene Kohlenstoffe gewechselt werden soll. „Für die Transformation spielt aus unserer Sicht die lokale Wertschöpfung eine ganz große Rolle – für unseren Wohlstand“, sagte Zeiss.
Kohlenstoff und Wasserstoff werden benötigt
Dr. Christoph Mühlhaus, Sprecher des Cluster Chemie/Kunststoffe in Mitteldeutschland, bezog die Carbon-Management-Strategie im Gegensatz dazu aufs Mitteldeutsche Revier. „Wir stehen vor der Herausforderung, mit schnellen Schritten die Treibhausgasneutralität zu erreichen. Wir brauchen dazu den Kohlenstoff und den Wasserstoff. Das sind die Moleküle, ohne die Kohlenwasserstoffe nicht herstellbar sind“, sagte er. CCU und CCS sei ein Weg, mit den vorhandenen Produktionsassets die Treibhausgasneutralität zügig zu erreichen. Die besonderen Strukturen des Binnenlandes im Mitteldeutschen Chemiedreieck erforderten allerdings eine Infrastruktur mit Pipelinesystem.
Aufbau einer vernetzten CO2-Transportinfrastruktur für CCU/CCS möglich?
Dr. Kai Schulze, Technical Manager im Bereich Grüne Gase der VNG AG, erläuterte wesentliche Ergebnisse des Projekts CapTransCO2. Dabei ging es um die Machbarkeit einer klimaneutralen mitteldeutschen Industrie durch den Aufbau einer vernetzten CO2-Transportinfrastruktur für CCU/CCS, die mit vielen regionalen Projektpartnern geprüft wurde. „Man darf ja nicht vergessen, es gibt keine Infrastruktur für CO₂“, so Schulze. Im Rahmen des Projekts wurden drei mögliche Trassen von Bad Lauchstädt zu Seehäfen untersucht, nach Stade, an die Ostsee und ins Rhein-Ruhrgebiet. Dabei zeigte sich, dass die theoretische Route von Bad Lauchstädt nach Stade mit 1.104 Millionen Euro vergleichsweise noch die günstigste sei. Als frühestmöglichen Zeitpunkt der Inbetriebnahme nannte er das Jahr 2033. Mühlhaus berichtete, dass er in der Vergangenheit bereits zwei Pipelines von der Genehmigungsseite betreut hat. Einmal von Rostock nach Mitteldeutschland und einmal von Stade nach Teutschenthal (Mitteldeutschland). Trotz aller Schwierigkeiten habe es jeweils nur zwei Jahre gedauert von der Beschlussfassung des Vorstandes bis zur Inbetriebnahme. Mühlhaus: „Ich kann mich nur noch wundern, wie lange man heute an einer Pipeline bauen will.“
Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen Ziel klären
Zum Abschluss wurde Patrice Heine aufs Podium gebeten, der nicht nur im Vorstand des Forum Rathenau e.V. ist, sondern auch Geschäftsführer der Chemiepark Bitterfeld-Wolfen GmbH und Sprecher von CeChemNet, einem 2002 gegründeten Netzwerk, das die größten Chemiestandorte in Mitteldeutschland vereint. Wenn es nicht gelinge, die zusätzlichen Kosten für den Bau einer Pipeline durch neue Geschäftsmodelle oder neue Produkte zu kompensieren, dann werde diese Pipeline gar nicht gebaut werden, meint er. Das sei dann sicherlich der Anfang vom Ende des Ostdeutschen Chemie Dreiecks. Deshalb müssten sich Politik, Wirtschaft, aber auch die gesamte Gesellschaft, noch einmal fragen was ihr wichtig ist in der Zukunft und dann müsste man klären: „Wie kommen wir dahin?“