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CarbonCycleCultureClub

Rückblick: Wie schnell ist Zukunft?

Foto: Sergei FrostFoto

Zum CarbonCycleCultureClub (C4) „Wie schnell ist Zukunft?“ lud der Forum Rathenau e.V. am Donnerstag, 26. Juni 2025 ab 18 Uhr ins Wasserzentrum Bitterfeld-Wolfen und digital übertragen via Livestream ein.

Anlässlich des Todestages von Forum Rathenau-Namensgeber Walther Rathenau widmete sich dieser C4 der Frage, welche Geschwindigkeiten heute Innovations- und Transformationsprozesse im Vergleich zu Rathenaus Lebzeiten haben.

Besonders interessieren uns Perspektiven auf den Übergang innovativer Technologien in wirtschaftlich relevante Anwendungen einerseits und die Transformationskompetenz von uns Menschen andererseits. Geht uns der Wandel zu schnell oder zu langsam? Welche Geschwindigkeiten sind erforderlich, um Nachhaltigkeitsstrategien umzusetzen und nachhaltige Innovationen zu ermöglichen?

CarbonCycleCultureClub (C4) im Livestream

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Moderiert wurde die Veranstaltung von Claudia Reiser, Redakteurin des ARD-Klimakompetenzcenter.

„Die Zeit überschlägt sich mit unseren Technologien und bei weitem nicht nur im Medienbereich“, sagte Moderatorin Claudia Reiser. Und gleichzeitig gehe eben alles auch viel zu langsam. Zumindest für das, was da als Mammutaufgaben vor uns liege: Klimawandel, Biodiversitätskrise. Das sei eine Riesentransformation, die wir bewältigen müssten. Trotzdem tun wir uns schwer, damit voranzukommen. „Woran liegt’s“, fragte die MDR-Moderatorin.

Auf dem Podium waren zu Gast:

Interview mit Dr. Maria Hoffacker


„Unsere Fähigkeit zur Transformation ist die zentrale Zukunftskompetenz – und sie lässt sich trainieren.“

–– Dr. Maria Hoffacker

Interview lesen

Dr. Maria Hoffacker ist Expertin für angewandte Neurowissenschaft, Nachhaltigkeit und Kommunikation. Sie unterstützt Führungskräfte, Teams und Unternehmen, ihr Potential und ihre Ressourcen optimal einzusetzen. Die aktuellen Herausforderungen wie Digitalisierung, Klimawandel und neue Arbeitsformen erfordern Klarheit und Persönlichkeit von jedem einzelnen. Im Fokus von Maria Hoffacker stehen die Themen Leadership, WeWork und Selbstorganisation. Sie ist Biologin, Theologin und Pädagogin mit langjähriger Führungserfahrung in Unternehmen und Kommunikation. Kürzlich erschien ihr HAUFE-Buch „Nachhaltigkeit beginnt im Kopf – Die Macht der Hirnforschung für die Unternehmenskultur nutzen“.

Forum-Rathenau-Redakteurin Simone Everts-Lang unterhielt sich mit Frau Dr. Hoffacker, die beim CarbonCycleCultureClub (C4) am 26. Juni 2025 im Wasserzentrum Bitterfeld zum Thema „Wie schnell ist Zukunft“, einen Hauptimpuls geben wird, wie die Menschen im Angesicht der Transformationsprozesse für Nachhaltigkeit und Wandel begeistert werden können und welche Rolle die Hirnforschung dabei spielt.

Frage: In ihrem Buch „Nachhaltigkeit beginnt im Kopf“ heißt es: „Transformation ist mit das Schwierigste, was es gibt“. Woran liegt das?

Antwort Dr. Maria Hoffacker: Wir befinden uns in einer Zeit tiefgreifender Umbrüche – geopolitisch, technologisch und im Hinblick auf Nachhaltigkeit. Transformation ist deshalb so herausfordernd, weil sie den Menschen zutiefst verunsichern kann. Unser Gehirn liebt Gewohnheiten und stabile Strukturen. Veränderungen empfinden wir daher oft als bedrohlich. Doch genau hier liegt der Schlüssel: Unsere Fähigkeit zur Transformation ist die zentrale Zukunftskompetenz – und sie lässt sich trainieren. In meinem Buch beschreibe ich, wie wir mit Hilfe neurowissenschaftlicher Erkenntnisse besser verstehen können, wie unser Gehirn funktioniert und wie wir es aktiv dabei unterstützen, mit Wandel umzugehen. Das World Economic Forum nennt diese menschlichen transformativen Fähigkeiten „Future Skills“ – und betont zu Recht ihre Bedeutung für die Ökonomie der Zukunft. Während wir viel über künstliche Intelligenz sprechen, vernachlässigen wir häufig unsere eigene menschliche Intelligenz. Dabei brauchen wir gerade jetzt mentale Beweglichkeit, emotionale Stabilität und ein neues Denken, um die Arbeitswelt, Energieversorgung und Lebensweisen zukunftsfähig zu gestalten. Die Zukunft entsteht nicht irgendwo da draußen – sie entsteht in unseren Köpfen.

Frage: Welche Rolle spielt die intrinsische Motivation für die Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien in Unternehmen?

Antwort: Intrinsische Motivation ist der Schlüssel zu nachhaltigem Handeln – vor allem auch im Unternehmenskontext. Menschen engagieren sich dann, wenn sie sich gesehen und verstanden fühlen und wenn sie Zuversicht verspüren. Deshalb ist es eine zentrale Führungsaufgabe, Bedürfnisse zu erkennen und sinnstiftende Ziele zu vermitteln. Motivation entsteht durch das Erleben von Wirksamkeit. Gerade bei einem so langfristigen Vorhaben wie Nachhaltigkeit ist es wichtig, den Weg in Etappen zu gestalten: Teilziele definieren, kleine Erfolge sichtbar machen und gemeinsam feiern. Nur so bleibt die Energie über längere Zeit erhalten. Motivation ist kein Dauerzustand – sie muss immer wieder neu aktiviert werden. Es geht darum, Fortschritt spürbar zu machen. Ein „Fahrplan der Erfolge“ kann dabei helfen: Wo stehen wir? Was wurde erreicht? Welche Auswirkungen sind bereits erlebbar? So wird der Weg zur Nachhaltigkeit nicht nur machbar – sondern auch motivierend.

Frage: Weshalb ist der unbewusste Teil unseres Gehirns so wichtig in Bezug auf Transformationsprozesse?

Antwort: Unser Gehirn ist ein faszinierender Supercomputer – einzigartig, lernfähig und lebenslang formbar. Besser als jeder andere Computer auf der Welt. 86 Milliarden Nervenzellen mit unzähligen Verbindungen – über 100 Billionen – stehen uns zur Verfügung. Doch der Großteil unserer Denk- und Handlungsmuster ist unbewusst. Genau hier liegt ein oft unterschätzter Hebel für Veränderung: In unseren unbewussten Erfahrungen, Prägungen und Routinen. Transformation gelingt nur, wenn wir uns auch mit diesem inneren Speicher auseinandersetzen. Emotionale Intelligenz, Intuition, Selbstreflexion – all das basiert auf unbewussten Prozessen. Wer versteht, was ihn triggert, wer Stressfaktoren erkennt und mit Emotionen konstruktiv umgehen kann, ist besser gewappnet für Wandel. Wir alle haben die Möglichkeit, neue neuronale Verbindungen zu schaffen und alte Muster zu verändern – bis ins hohe Alter. Doch dafür brauchen wir ein Bewusstsein für unsere mentale „Software“. Unser Gehirn kommt ohne Gebrauchsanleitung – deshalb nutzen viele ihr Smartphone effizienter als ihren eigenen Kopf. Das sollten wir unbedingt ändern.

Frage: Wie können wir die Menschen für Veränderungen und Nachhaltigkeit begeistern?

Antwort: Angst vor den Folgen des Klimawandels kann ein Anstoß sein – aber Begeisterung ist ein viel stärkerer Motor. Natürlich machen die Zahlen und wissenschaftlichen Prognosen Sorge – sie können uns Antrieb zum Handeln sein, doch demotivieren und lähmen sie uns auch oft. Genau deshalb sollten wir aufzeigen, was wir gewinnen können: Lebensqualität, Gesundheit, Sinn und ökonomische Sicherheit. Nachhaltigkeit ist kein Verzicht, sondern eine Investition in unsere eigene Zukunft – körperlich, seelisch, gesellschaftlich. Eine intakte Natur tut uns gut, saubere Luft, gesunde Ernährung, stabile Lebensbedingungen – das sind echte Benefits. Wichtig ist, dass wir mit positiven Erfahrungen arbeiten, neue Geschichten erzählen und konkrete Erfolge sichtbar machen. Es gibt schon viele Initiativen, Technologien und Ansätze, die Hoffnung machen. Diese gilt es zu stärken. Wir brauchen ein neues Narrativ: Die Zukunft ist gestaltbar. Veränderung kann sogar Freude machen – wenn sie sinnvoll erscheint und in Gemeinschaft erlebt wird. Das ist keine naive Hoffnung, sondern gelebte Neurowissenschaft. Denn unser Gehirn liebt Entwicklung, wenn sie Sinn und Freude macht und wenn sie in sozialer Gemeinschaft erlebt wird.

Frage: Heißt das auch, man sollte alles nicht so ernst nehmen?

Antwort: Ein spielerischer Zugang setzt Kreativität frei. Wenn wir Veränderung als Spielraum begreifen, statt als Zwang, entsteht Gestaltungslust statt Ohnmacht. Spiele haben Regeln – ja. Aber sie bieten auch Möglichkeiten, Varianten, Teams, Strategien. Genau das brauchen wir: Mut, Neues auszuprobieren. Wir können uns als Menschen und als Gesellschaft neu erfinden. Das ist eine der schönsten Herausforderungen unserer Zeit. Und: Es gelingt nur gemeinsam.

Frage: Wer macht die Regeln?

Antwort: Die Regeln ergeben sich aus unseren Werten: Respekt, Verantwortung, Anstand. Das sind keine verstaubten Begriffe – im Gegenteil. In Zeiten globaler Krisen und rasanter Veränderungen sind sie Orientierung und Kompass. Natürlich können sich Regeln weiterentwickeln. Aber ihre Basis muss immer ein gemeinsames Wertefundament sein. Veränderung braucht Haltung.

Frage: Künstliche Intelligenz (KI) war bei unserem CarbonCycleCultureClub (C4) im Mai Thema. Wie gehen wir denn mit KI bei diesem Spiel um? Brauchen wir da andere oder neue Regeln?

Antwort: KI kann uns entlasten – wenn wir verantwortungsvoll mit ihr umgehen. Die große Herausforderung besteht darin, eine Balance zu finden zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz. Als Führungskräfte führen wir nicht nur Menschen, sondern auch digitale Systeme. Deshalb müssen wir die menschlichen Kompetenzen viel stärker trainieren – Empathie, Kreativität, ethisches Denken. KI ist ein Werkzeug. Die Frage ist: Wer hält es in der Hand und mit welcher Absicht? Wir müssen klug entscheiden, wie und wofür wir KI einsetzen. Und wir dürfen keine Angst davor haben – sondern klare Werte und Regeln entwickeln. Auch das ist Zukunftsgestaltung.

Frage: Bei uns gehts ja beim nächsten C4, bei dem Sie als Rednerin und Podiumsgast dabei sind, auch um Geschwindigkeit und Innovation. Es gibt ja ganz unterschiedliche Geschwindigkeiten. Große Bauprojekte brauchen heute oft lange für die Umsetzung. Innovationen für Nachhaltigkeit können häufig nicht schnell zur Anwendung kommen. Neuerungen im digitalen Bereich breiten sich dagegen zum Teil rasant schnell aus. Leben wir in einer schnellen oder in einer langsamen Zeit?

Antwort: Wir leben in einer paradoxen Zeit. Informationen verdoppeln sich in rasanter Geschwindigkeit, digitale Entwicklungen überschlagen sich – gleichzeitig dauern viele strukturelle Prozesse viel zu lange. Genau diese Diskrepanz ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Wir brauchen neue Modelle, wie wir Innovation effizient, aber auch nachhaltig umsetzen. Das erfordert einen Perspektivwechsel: Wo können wir Etappen sichtbar machen? Welche Zwischenerfolge lassen sich kommunizieren? Wo braucht es Entschleunigung – und wo gezielte Beschleunigung? Wichtig ist: Veränderung muss spürbar sein, nicht nur abstrakt geplant. Und wir brauchen Räume zum Testen und Lernen. Fehlerkultur ist ein entscheidender Erfolgsfaktor. Wer schnell reagiert, muss auch schnell korrigieren können. Nur so gelingt strategisches Vorangehen – mit Augenmaß und Verantwortung.

Frage: Wie schnell müssen wir sein, um die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals – SDGs) umsetzen zu können?

Antwort: Die SDGs sind ein mächtiger Kompass – aber der Weg ist anspruchsvoll. Deshalb hilft ein Bild: Einen Berg besteigt man nicht im Sprint, sondern Schritt für Schritt. Es kommt darauf an, nicht stehenzubleiben und vor allem: nicht allein zu gehen. In der Gemeinschaft liegt Kraft. Wir müssen die Aussicht genießen, Etappensiege feiern, Kräfte einteilen – und beharrlich bleiben. Nachhaltigkeit braucht nicht nur Tempo, sondern auch Ausdauer. Und eine Vision, die uns trägt.

Frage: Gelingt das auch für jeden Einzelnen, oder braucht man die Gemeinschaft?

Antwort: Wir sind als Menschen soziale Wesen. Es macht viel mehr Spaß gemeinsam zu gehen und vereint. Manche Dinge, insbesondere die steilen und schwierigen Passagen, kann man nur gemeinsam schaffen. Um bei dem Bergbild zu bleiben, man braucht jemanden, der oder die einen absichert, ein Seil spannt. Es ist eine gemeinschaftliche Besteigung, gerade bei schwierigen Bergen. Die Bewältigung der transformativen Zukunftsaufgaben ist eindeutig ein ziemlich herausfordernder Berg.

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In seinem 1917 erschienen Buch „Von kommenden Dingen“ analysiert Walther Rathenau die sich herausbildende Weltgesellschaft. Er beginnt die Einleitung mit der Bemerkung, dass das Buch von materiellen Dingen, jedoch um des Geistes willen handelt. Entwicklung ist für ihn die entscheidende Denkform, die uns Menschen von den Tieren unterscheidet. Beharren ist unmöglich. Sein Blick richtet sich klar nach vorn: „(…) das Kommende ist wunderbar, nicht weil es aus dem Nichts kommt, sondern weil es das Gemeine wandelt. All unser Tun hat etwas Seherisches, denn jeder Schritt trägt in die Zukunft.“ Auch zu Rathenaus Zeiten war Wandel allgegenwärtig.

Bei vergangenen C4-Veranstaltungen wurde regelmäßig betont, dass die Genehmigung für das Kraftwerk Zschornewitz in Gräfenhainichen einst eine Seite umfasste, und das Kraftwerk, dessen Bau im Jahr 1915 begann, bereits im Jahr 1918 vollständig in Betrieb genommen werden konnte. Von der Antragstellung bis zur Baugenehmigung sei damals nur etwa ein Jahr vergangen. Damals konnte also der technologische Wandel mit hoher Geschwindigkeit vollzogen werden.

„Ich kann mich nur noch wundern, wie lange man heute an einer Pipeline bauen will,“ sagte Dr. Christoph Mühlhaus, der beim CarbonCycleCultureClub (C4) zum Thema „Ist CO2 der Rohstoff der Zukunft?“ am Donnerstag, 30. Mai 2024 als Sprecher des Cluster Chemie/Kunststoffe Mitteldeutschland zu Gast auf dem Podium war. Er berichtete, dass er in der Vergangenheit bereits zwei Pipelines von der Genehmigungsseite betreut hat. Einmal von Rostock nach Mitteldeutschland und einmal von Stade nach Teutschenthal (Mitteldeutschland). Trotz aller Schwierigkeiten habe es jeweils nur zwei Jahre gedauert von der Beschlussfassung des Vorstandes bis zur Inbetriebnahme.

Hintergrund waren die Ausführungen von Dr. Kai Schulze, Technical Manager im Bereich Grüne Gase der VNG AG, der wesentliche Ergebnisse des Projekts CapTransCO2 erläutert. Dabei ging es um die Machbarkeit einer klimaneutralen mitteldeutschen Industrie durch den Aufbau einer vernetzten CO2-Transportinfrastruktur für CCU/CCS, die mit vielen regionalen Projektpartnern geprüft wurde.  „Man darf ja nicht vergessen, es gibt keine Infrastruktur für CO₂“, so Schulze beim C4 vor etwa einem Jahr. Im Rahmen des Projekts wurden drei mögliche Trassen von Bad Lauchstädt zu Seehäfen untersucht, nach Stade, an die Ostsee und ins Rhein-Ruhrgebiet. Dabei zeigte sich, dass die theoretische Route von Bad Lauchstädt nach Stade mit 1.104 Millionen Euro noch die günstigste sei. Als frühestmöglichen Zeitpunkt der Inbetriebnahme nannte er das Jahr 2033. Dieses Projekt ist nur ein Beispiel für heutige Infrastrukturprojekte, die extrem lange von der Planung bis zur Umsetzung brauchen oder brauchen würden und somit zu langsam sind für die Transformationsprozesse, die stattfinden müssen, um die Klimaziele zu erreichen und den Wandel zu ermöglichen zu einer nachhaltigeren Wirtschaft.

Ganz andere Abläufe sind beispielsweise bei Start-ups zu beobachten beim Übergang innovativer Technologien in wirtschaftlich relevante Anwendungen.

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Die Erfindung der eierlegenden Wollmilchsau

Der Chemiker Dr. Manuel Häußler entdeckte im Rahmen seiner Promotion komplett recyclebare Kunststoffe und publizierte dazu in der sehr renommierten Zeitschrift „Nature“. Im Anschluss machte er die frustrierende Erfahrung, dass die bestehenden Industrieunternehmen ihre Produkte von sich aus nicht verändern wollten. Daraufhin entschied er, seine Ideen selbst in die Anwendung zu bringen. Häußler schloss sich dazu mit Philipp Kessler, einem erfahrenen Start-up-Gründer, zusammen. Im Februar 2024 gründeten sie Aevoloop (unendliche Kreisläufe). Die ersten Prototypen gab es bereits ein halbes Jahr später. Dieses Jahr zog das junge Unternehmen nach Leipzig. Neben Fördergeldern war dafür auch das im Aufbau befindliche „Center for the transformation of Chemistry“ (CTC) entscheidend. Das CTC will an seinen Standorten in Delitzsch und Merseburg sehr vielen ähnlichen Ansätzen zum Durchbruch verhelfen. Das wird in Zukunft neues Know-how schaffen, von dem die Firma profitieren kann und neue Arbeitskräfte und Industriepartner anlocken. Von dieser Erfahrung und wie es nun möglich geworden ist, diese innovativen Ideen in die Anwendung zu bringen, wird er beim C4 berichten.

Wie und mit welcher Geschwindigkeit können Gründer:innen mit Start-ups ihre Ideen umsetzen und Entdeckungen als Produkte in den Markt und die Gesellschaft bringen? Damit schließen wir direkt an die Diskussion des C4 vom 22. Mai mit dem Thema „KI für Kohlenstoff“ an. Kann so eine höhere Geschwindigkeit erreicht werden? Welche Rolle spielt dabei die KI?

Beim C4 anlässlich des Todestages des Forum Rathenau-Namensgebers Walther Rathenau ging es um die Frage, mit welchen Geschwindigkeiten Innovation zu Rathenaus Zeit möglich war im Vergleich zu heute. Die Genehmigung für das Kraftwerk Zschornewitz habe einst eine Seite umfasst und vom Baubeginn bis zur vollständigen Inbetriebnahme vergingen damals nur drei Jahre. Das war 1918. Und heute? Sollten wir in dieser Hinsicht wieder mehr Geschwindigkeit aufnehmen?, fragte Reiser. „Das will unser erster Gast mit Sicherheit“, sagte Claudia Reiser. „Sein Credo lautet ebenfalls Kohlenstoffkreisläufe neu denken und damit die Chemie neu denken“. Er nennt sich selbst einen Sciencepreneurs, der die eierlegende Wollmilchsau für eine nachhaltige Plastikindustrie entwickeln möchte.

Warum sich damit durchzusetzen gar nicht so leicht ist, erläuterte der Chemiker Dr. Manuel Häußler, CSO und Founder aevoloop GmbH, Forschungsgruppenleiter am Center for the Transformation of Chemistry (CTC):

„Ich beschäftige mich viel mit Kunststoffen in zweierlei Funktion“, sagte Manuel Häußler. Einmal in der Rolle eines Gründers eines Startups, mit dem Ziel Produkte auf den Markt zu bringen aus einer Technologie heraus und gleichzeitig die Technologie zu verbreitern, nämlich mit dem Kreislaufgedanken für Kohlenstoffprodukte, die ja auch Kunststoffe seien. Dies tue er im Rahmen seiner Tätigkeit beim Center for the Transformation of Chemistry (CTC), das derzeit noch ein Projekt im Aufbau ist.

In seinem Vortrag zeigte er zunächst ein Foto mit einem Werbebild für die ersten Frischhaltefolien aus den 1950er Jahren. Damals war das wirklich eine Sprunginnovation, so Häußler. Das könne sich heute niemand mehr vorstellen. „Es ist ganz wichtig zu wissen damals haben Kunststoffe wirklich eine Euphorie ausgelöst.“ Das habe natürlich nicht nur Kunststoffe betroffen, sondern ebenso Kunstfasern in Kleidung, Kunststoffe in Autos, Kunststoffe, die im Gesundheitsbereich eingesetzt werden und Verpackungen. Jedes Auto habe so etwa 300 bis 500 Kilo Kunststoffe in sich. Selbst wenn man versuche Kunststoffe zu vermeiden, schaffe man das heute oft gar nicht, denn für viele Anwendungen gebe es derzeit keine Alternative.

Das habe, wie ja bekannt sei, zu sehr, sehr vielen Kunststoffabfällen geführt, die ebenso wie während ihres Einsatzes leicht, robust und widerstandsfähig sind und sich nicht in der Natur zersetzen. Bisher haben wir etwa neun Milliarden Tonnen Kunststoffabfälle erzeugt. Das beschäftige auch viele Forscher:innen, die dazu Lösungen suchten. Mit aevoloop entwickle er einen Ansatz, der über die bisher dagewesenen, nämlich Recycling – in Deutschland sind wir gerade bei 33 Prozent Recyclingquote aller gesammelten Abfälle von Kunststoffen – und kompostierbaren Kunststoffen, die teurer und nicht genauso strapazierfähig seien wie die erdölbasierten Kunststoffe, hinausgehe. „Wir entwickeln Materialien wirklich auf molekularer Ebene“, sagte Häußler.  Das sei ein ganz neues Molekül für diesen Kunststoff. In die klassischen Kunststoffketten würden Sollbruchstellen eingefügt. Diese störten nicht, wenn man den Kunststoff einsetze, aber später könnten diese Ketten ganz leicht und gezielt mit chirurgischer Präzision wieder gespalten werden. Der Kohlenstoff könne so wieder herausgelöst werden. „Und das ist eben das, was wir versuchen mit dem Unternehmen zu kommerzialisieren.“ Die Performance lasse sich mit klassischen Kunststoffen vergleichen, aber vollständig recyceln. Die Sollbruchstellen ließen sich gezielt öffnen und man erhalte 96 Prozent des Kohlenstoffs wieder zurück. Es entstehe kein Mikroplastik, da dieses Produkt von Mikroben in der Natur verstoffwechselt werden könne. „Wir können sie technisch öffnen, dann können wir es geschlossen recyceln“, erläuterte Häußler. Das funktioniere mit den gleichen Kosten wie für klassische Kunststoffe. Das Projekt befinde sich im Technologiereifegrad von fünf. Man könne erste Pilotstudien mit dem Produkt machen, aber es ist noch nicht in der Produktion und auf dem Markt. Das dauere voraussichtlich noch drei bis vier Jahre.

So, nun habe er einen Bereich von Kohlenstoff vorgestellt, nämlich den Kohlenstoff, der in Polymeren, also in Kunststoffen stecke und genauer im sogenannten Polyethylen, denn diese Anwendungen könnten mit dem Produkt von aevoloop ersetzt werden. Das sei ungefähr ein Drittel aller Polymere auf dem Markt. Damit könne also schon ein guter Teil unmittelbar ersetzt werden. Experten sagten allerdings, dass wir künftig 50 Prozent des Kohlenstoffs recyceln müssten und der allergrößte Teil dürfe nicht ursprünglich fossil gewesen sein. Das Problem sei also nicht damit gelöst, die klassischen Materialien zu recyceln. Gleichermaßen müsste auch das CO2 abgeschieden werden, um ans Ziel zu kommen. Ein kleiner Teil sollte außerdem biobasiert sein, der dann kompostiert werden könne.

„Jetzt haben wir aber ein Problem“, sagte Häußler: „Wir haben uns hier nur einen kleinen Teil angeschaut und wir haben ja noch nicht mal den Erfolg jetzt ganz bis zum Ende gebracht und ein Produkt auf dem Markt. Sagen wir mal, uns gelingt es – was ist denn dann mit dem ganzen Rest der Kunststoffe und dem ganzen anderen Rest der Chemikalien?“ Genau diese Frage versuche man am CTC zu beantworten, das Großforschungsinstitut, das sich nur damit beschäftige, die chemische Industrie vollständig kreislauffähig zu machen. Es sei wichtig zu verstehen, dass mit der Chemie angefangen werden müsse, denn ohne Chemie gäbe es hier gar nichts, so Häußler. Er habe in einem anderen Vortrag sehr treffen gehört: „Ohne Chemie würden wir alle nackt auf dem Fußboden sitzen, es gäbe ohne Chemie gar nichts.“ Deshalb sei auch der Bund bereit, erhebliche Gelder zur Verfügung zu stellen, um in Delitzsch und Merseburg dieses Großforschungsinstitut aufzubauen. Insgesamt fließen 1,2 Milliarden Euro in den Aufbau. Am Ende sei das ein sehr, sehr großes Forschungsprojekt mit über 1.000 Mitarbeitern. Es werde hier das sogenannte Labor der Zukunft entwickelt, ein vollautomatisiertes Labor. Außerdem solle hier von exzellenter Grundlagenforschung in die Anwendung gegangen werden. Das sei neu, denn sonst schaue man sich die Grundlagen- oder die Anwendungsforschung an. Dafür gebe es ein großes Industrienetzwerk, das angezapft werden solle und ganz wichtig, denn so sei er auch an diese Stelle gekommen: Es solle ganz viel mit Startups zusammengearbeitet werden und diese sollten auch gegründet werden, sobald die ersten Forschungsergebnisse stünden.

„Zukunft braucht Hirn“

Innerhalb von fünf Tagen meldeten sich im November 2022 weltweit eine Million Nutzer an, nachdem OpenAI die Software-Version GPT-3 für die Öffentlichkeit kostenfrei zugänglich gemacht hatte. Im Januar 2023 erreichte ChatGPT bereits über 100 Millionen Nutzer. Ist diese rasante Verbreitung die Geschwindigkeit der Zukunft?  Welche Rolle spielen dabei die Menschen, und wo stehen sie bei den unterschiedlichen Transformationsprozessen? Kommt die Gesellschaft bei diesen Prozessen mit?

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„Die Zukunft entsteht nicht irgendwo da draußen – sie entsteht in unseren Köpfen“, sagte Dr. Maria Hoffacker, Expertin für angewandte Neurowissenschaft, Nachhaltigkeit und Kommunikation im Gespräch mit Forum Rathenau-Redakteurin Simone Everts-Lang. „Wir leben in einer paradoxen Zeit. Informationen verdoppeln sich in rasanter Geschwindigkeit, digitale Entwicklungen überschlagen sich – gleichzeitig dauern viele strukturelle Prozesse viel zu lange. Genau diese Diskrepanz ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Wir brauchen neue Modelle, wie wir Innovation effizient, aber auch nachhaltig umsetzen. Das erfordert einen Perspektivwechsel: Wo können wir Etappen sichtbar machen? Welche Zwischenerfolge lassen sich kommunizieren? Wo braucht es Entschleunigung – und wo gezielte Beschleunigung? Wichtig ist: Veränderung muss spürbar sein, nicht nur abstrakt geplant. Und wir brauchen Räume zum Testen und Lernen. Fehlerkultur ist ein entscheidender Erfolgsfaktor. Wer schnell reagiert, muss auch schnell korrigieren können. Nur so gelingt strategisches Vorangehen – mit Augenmaß und Verantwortung“, sagte die Autorin von „Nachhaltigkeit beginnt im Kopf“ und führte das in ihrem Beitrag beim C4 weiter aus.

Das Thema Geschwindigkeit der Zukunft habe natürlich viele Ebenen, nahm Claudia Reiser wieder den Ball auf. Die politische, die technologische, aber definitiv auch die gesellschaftliche – die menschliche. Ohne die funktioniere es nicht. „Und wie man die Menschen auf dieser Reise wirklich mitnehmen kann, wie man sie gewinnen kann für die Sache. Damit beschäftigt sich unser nächster Gast“, sagte Claudia Reiser. Sie ist Expertin für Neurowissenschaften. Sie ist Biologin, Pädagogin, Theologin und Autorin.

„Wie schnell ist Zukunft“, begann Dr. Maria Hoffacker ihren Vortrag und ergänzte: „Zukunft braucht Hirn.“ Es gehe in ihrem Beitrag und auch in dem Buch, das sie geschrieben habe, darum, wie wir Transformation nachhaltig in den Köpfen verankerten. „Ja“, sagte sie: „Technologie rast, doch unsere Köpfe bremsen.“ Hoffacker sagte: „Ich beziehe mich angesichts des Todestages natürlich auf Walther Rathenau, der 1917 schon in seinem Buch ‚Von kommenden Dingen‘ gesagt hat: ‚Unsere Wirtschaft gleicht einem Kreislauf ohne Ziel, in dem die Menschen durch Ströme von Waren stampfen und Ströme von Abfällen hinter sich lassen…'“Jeder Mensch habe in jedem Augenblick zu prüfen, ob das Gut, das er entnehme, der Verantwortung entsprechend entnommen werden dürfe. Für sie seien zwei Wörter besonders wichtig, nämlich welches Ziel wir mit der Weiterentwicklung und dem Fortschritt verfolgen und die Verantwortung. Da sei jeder gefragt, denn jeder sei verantwortlich.

Die wissenschaftlichen Fakten könnten wir uns gar nicht oft genug vor Augen führen meinte sie. Sie bezog sich dabei auf die Daten des PIK (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung). Demnach seien die planetaren Grenzen in vielen Bereichen schon lange erreicht und die Zahlen seien von Jahr zu Jahr schlechter. Das versetze uns Menschen manchmal in Panik. Auf der anderen Seite sollte es aber auch motivierend sein. Wir seien eben recht langsam.

Die Meteorologen hätten das schon auf der ersten Klimakonferenz im Jahr 1979 vorausgesagt. Hoffacker sagte: „Deswegen ist Schnelligkeit, finde ich, ein Punkt auch der Vorsorge logischerweise.“ Nachhaltigkeit sei der Kompass für die Zukunft. Es sei außerdem alternativlos. „Das darf man sich immer wieder sagen, wenn man mal eine Motivation für den Alltag braucht, weil es das eigene Überleben am Ende sichert“, sagte Hoffacker. Es kreiere menschliche Zukunft. „Was hat das mit unseren Köpfen zu tun?“, fragte sie: „Viel, denn die Zukunft entsteht jetzt. Genau jetzt in jedem von uns, und zwar so wie wir denken, wie wir uns jetzt verhalten. Das ist entscheidend für das, was in Zukunft entsteht.“ Wenn wir jetzt von KI redeten, dann hätten wir die beste KI da oben im Kopf. Technologie allein sei nicht die Zukunft, sondern erst mit Hirn und Haltung werde sie transformativ.

Die Frage sei also im Bezug auf den Titel der Veranstaltung, ob es möglich sei, nachhaltig zu beschleunigen, wenn wir das System Menschen verstünden. „Denn wir können natürlich wesentlich mehr aus der Zeit herausholen“, sagte Hoffacker. Sie habe drei Beschleunigerthesen mitgebracht. Die erste sei die Haltung. Nachhaltigkeit sei radikaler Optimismus für die Zukunft. Aus ihrer Sicht sei nicht alles Chemie, sondern Biologie, Chemie, Physik und Kultur. Außerdem wachse nichts schneller, wenn man daran ziehe, aber die Kunst sei, das richtige anzupflanzen und auch zu begleiten. In der Natur gebe es keine Abfälle. Sie funktioniere in Kreisläufen.

Der zweite wichtige Punkt sei das Bewusstsein. Wir alle seien Teil der Natur und hätten diese wunderbaren Gehirne mit 86 Milliarden Nervenzellen und über 100 Billionen Synapsen. Hoffacker sagte: „Kann man sich gar nicht vorstellen, was da alles so passiert. Aber wir haben es alle selber in der Hand, das zu kreieren. Verhalten und Gedanken machen Gehirn.“ Jeder könne systemisch anders denken bis zum Lebensende. Sie rief die Dreiteilung des Gehirns in Erinnerung. Die Denkerstirn, auf die wir alle stolz seien, nehme nur zehn Prozent in Anspruch. Der Rest sei das limbische System Emotionen und das Stammhirn, das alte Gehirn.

Oft würden wir bremsen und sagen, wir könnten das alles gar nicht mitmachen. Auch die KI nicht. Wir würden andächtig vor der KI knien und hätten manchmal vergessen, was wir selbst könnten, meinte Hoffacker. Das Unterbewusstsein verarbeite 15 Billionen Bits pro Sekunde. Das könne kein Computer. Dieses Unbewusste anzuzapfen und da wirklich mit umzugehen sei die Kunst. Das sei ein Riesenpotential, das von den meisten nicht genutzt würde. Wir würden es ja erleben, es werde geblockt, die Fakten würden negiert.

Sie zeigte die möglichen Reaktionen von Angstverläufen. Man sehe eine Spinne, und renne beispielsweise davon. Der langsamere reflektierte Weg gehe über den präfrontalen Kortex. Der Mensch reflektiere, sehe, dass es sich um eine Plastikspinne handelt und überlege. Es sei sinnvoll, das über den präfrontalen Kortex laufen zu lassen, innezuhalten, zu reflektieren, denn das sei im Endeffekt auch das Tor zum Unterbewusstsein – die Reflexion sowie verschiedene andere Methoden. Dann könnten wir Dinge richtig sehen, breiter sehen, den Blickwinkel verändern.

Wenn Menschen mitgenommen werden sollen, müssten auch die Emotionen, das Herz mitgenommen werden, so Hoffacker. Die Wissenschaft weiß inzwischen, dass es ein eigenes Nervensystem im Herz gibt. Es gibt eine Verbindung zwischen Herz und Gehirn und die bewusst wahrzunehmen und auch eine Herzensentscheidung zu treffen sei wichtig. Emotionale Intelligenz trainieren. Da gehe ihr Fokus hin.

Das letzte sei: Darm. Wir redeten vom Bauchgefühl oder auch der Intuition. Auch diese sei erlernbar, wir nutzen sie nur viel zu oft nicht. Der Kapitän, der das Flugzeug im Hudson-River gelandet hatte, habe gesagt, er habe in der Minute 45 Jahre Intuition abgerufen. Auch dies könnten nur wir Menschen und keine KI. Auch die dürften wir nicht überhören. Der Darm ist verbunden mit dem Vagusnerv.

Die biologische Intelligenz zu entwickeln, das sei unsere Aufgabe, auch wenn es um den technischen Fortschritt gehe, oder gerade, wenn es um den technischen Fortschritt gehe und vor allen Dingen auch mit den ganzen KI-Systemen.

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Innerhalb kürzester Zeit riesige Teststelle aufgebaut

Ein Beispiel für die schnelle Anpassung an den Wandel lieferte Hans-Dieter Sonntag, Geschäftsführer der FEV Dauerlaufprüfzentrum GmbH. Der Hauptsitz des Unternehmens ist in Sandersdorf-Brehna. An ihren Standorten innerhalb Deutschlands betreibt die FEV mehr als 50 Motoren- und Antriebsstrangprüfstände mit dem Ziel einer hocheffizienten Dauerlauf- und Funktionserprobung beziehungsweise Serienfreigabe von konventionellen Verbrennungsmotoren sowie Hybrid- und Elektroantrieben. Und gerade diese Erweiterung auf Hybrid- und Elektroantriebe erforderte eine Umstellung innerhalb von kürzester Zeit.

Hans-Dieter Sonntag wurde von Claudia Reiser als einer, der ein Loblied auf die Behörden der Region singen möchte angekündigt, denn innerhalb kürzester Zeit konnte sein Unternehmen hier in der Region die weltgrößte unabhängige Entwicklungs- und Teststelle für Batterien aufbauen. Da werden Akkus geschüttelt, gegrillt, durchgefroren, durchgeladen und auch mal zur Explosion gebracht und das alles im Dienste der Sicherheit und zum Überprüfen der Alltagstauglichkeit, so die Moderatorin. Und warum hier? Weil unter anderem hier die Genehmigungsverfahren so schnell gehen, meinte Claudia Reiser. Sonntag stellte zunächst die FEV vor. Ein Unternehmen, das 1978 als Spin-off der RWTH Aachen in Aachen gegründet wurde, sich weiterentwickelt und immer wieder angepasst habe. Im Jahr 2007 habe man hier in der Region angefangen, da ein Automobilhersteller diese Tests nicht mehr selbst machen wollte und die FEV den Auftrag übernehmen konnte. „Die Umsetzung musste ruckzuck passieren und das war mit ein ganz großes Thema, warum wir überhaupt heute hier sind“, sagte Sonntag. Natürlich gehe es um Randbedingungen, um Rentabilität, um die Lage, und wenn man eine Förderung bekomme, nehme man die auch sehr gerne. Aber kurze, schnelle Genehmigungswege, das sei entscheidend. Das Unternehmen habe innerhalb von 14 Tagen die Baugenehmigung gehabt. Nach 18 Monaten sei das Unternehmen komplett in Betrieb gewesen. Das sei auch nötig gewesen, denn sonst hätten sie das Projekt nicht umsetzen können. Das Gebäude sei, leider aus einer Insolvenz heraus, schon vorhanden gewesen.

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„Die Zukunft wartet nicht“

Im Anschluss bat Claudia Reiser Michael Zorn auf’s Podium, der die Themen Immissionsschutz, Chemikaliensicherheit, Gentechnik und Umweltverträglichkeitsprüfung im Landesverwaltungsamt in Sachsen-Anhalt verantwortet und damit mitverantwortlich ist für die schnellen Genehmigungsverfahren.

Wie schnell ist Zukunft?, griff er das Thema der Veranstaltung auf. Die Zukunft warte nicht. Unsere Transformationsprozesse sind nur so schnell wie unsere Genehmigungsverfahren, meinte er. Wir müssten Mittel und Wege finden, hier sehr kurzfristig zu reagieren, dass Forschung betrieben werden könne und die Ergebnisse schnell in der Industrie umgesetzt werden könnten. Wenn wir Zukunft gestalten wollten, meinte Zorn, müssten wir Verwaltung neu denken: digital, effizient, aber auch mutig. Die Frage sei nicht mehr, ob wir beschleunigen, sondern wie entschlossen wir es tun, so Zorn. Denn Transformation sei eine Gemeinschaftsaufgabe. Sie gelinge nur in Zusammenarbeit mit Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Auch brauche es den Menschen, der Vertrauen habe in die Notwendigkeit der Veränderung.

Geschwindigkeit dürfe natürlich nicht auf Kosten der Qualität oder Beteiligung gehen. Dabei gehe es nicht um Einzelmaßnahmen, sondern um ein vernetztes Denken und Handeln. Digitalisierung wäre dabei ein Schlüssel im Verwaltungsbereich, digitale Beteiligungsverfahren beispielsweise. Rechtssicherheit sei auch ein wichtiger Punkt. Richtlinien gingen häufig über die EU-Vorgaben hinaus. Das führe zu unnötiger Komplexität, zusätzlichen bürokratischen Hürden und letztlich zu Rechtsunsicherheit. Als Beispiel nannte er eine EU-Vorgabe zu Umweltverträglichkeitsprüfungen, die bei bestimmten Großprojekten erforderlich sei. In Deutschland gebe es dazu eine Erweiterung auf kleinere Infrastrukturen und bestimmte landwirtschaftliche Anlagen, was sehr hinderlich sei. Auch zur EU-Vorgabe bezüglich der Registrierung und Bewertung von Chemikalien gebe es in Deutschland zusätzliche Anforderung an Dokumentation und Nachweispflicht. Das betreffe Bereiche, in denen wir Tempo brauchten. Er würde deshalb die Umsetzung von EU-Recht in deutsches Recht 1:1 vorschlagen in diesen Bereichen. Somit hätten wir auch den europäischen Vergleich, meinte Zorn und könnten mehr Rechtssicherheit und schnellere Verfahren erreichen.

Michael Zorn ist Referatsleiter Immissionsschutz, Chemikaliensicherheit, Gentechnik, Umweltverträglichkeitsprüfung des Landesverwaltungsamtes in Sachsen-Anhalt.